Totes Küken in Mastbetrieb

© EqualiaIm Oktober 2022 veröffentlichten wir erstmals erschreckende Undercoveraufnahmen aus dem Hühnermaststall eines Lidl-Lieferanten in Niedersachsen. Die Strafanzeige, die eine unserer Partnerorganisationen daraufhin bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg erstattete, wurde eingestellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass unsere Vorwürfe unberechtigt sind und dem Tierhalter nichts vorzuwerfen ist. Warum, erklären wir hier.

Die Aufnahmen sind eindeutig zuzuordnen

Vorab: Da sich die Strafanzeige gegen den Tierhalter richtete, müssen die Aufnahmen eindeutig zuzuordnen sein. Einige Medien berichteten, das sei nicht nachweisbar gewesen. Das stimmt so jedoch nicht.

Es wurden zwei Videos als Beweismaterial eingereicht, eines der Videos enthielt nicht die notwendigen Geodaten, das andere hingegen schon. In der Einstellungsnachricht der Staatsanwaltschaft heißt es entsprechend: »Eine Zuordnung des Videobildmaterials zur Masthuhnanlage […] sei nur bei dem Video 2 [sic!] möglich.«

Tatsache: Kranke und sterbende Tiere

Einige Hühner in den Aufnahmen litten sichtlich schwer an den Folgen ihres angezüchteten Extrem-Wachstums, waren teilweise nicht einmal in der Lage, sich auf den Beinen zu halten, und vegetierten in einem überfüllten, trostlosen und mit verwesenden Kadavern ihrer Artgenoss:innen gespickten Stall vor sich hin. Die Tiere aus diesem Stall wurden unter anderem zu Fleischprodukten der Lidl-Eigenmarken »Metzgerfrisch« und »Grillmeister« verarbeitet, die das Haltungsform-Label 2 »Stallhaltung Plus« tragen.

Problematisch sind hier verschiedene Dinge: die Qualzucht, die für massive gesundheitliche Probleme sorgt, die nicht-artgemäße Haltung sowie das Leidenlassen der kranken Hühner und das Nicht-Wegräumen der toten Tiere. Qualzucht und die vorgefundenen Haltungsbedingungen sind jedoch so sehr die Norm und teilweise sogar durch rechtliche Haltungsvorgaben gedeckt, dass nicht damit zu rechnen war, dass die Staatsanwaltschaft dieses »Fass aufmachen« und die Systemfrage stellen würde. Blieb also die Kritik am Umgang des Tierhalters mit kranken und toten Hühnern.

Eine Person des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Oldenburg begutachtete das Videomaterial. Sie kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass »moribunde und Tiere mit gestörtem Allgemeinbefinden unterschiedlichen Alters« zu sehen seien. Moribund heißt: im Sterben liegend, dem Tode nah.

Und das sagt nichts über den Mastbetrieb?

Die Staatsanwaltschaft tat sich schwer damit, die Tatsache, dass kranke und sterbende Hühner vorgefunden wurden, auf das Versagen des Tierhalters zurückzuführen. Sie schreibt, »über die Ursache und Dauer dieses Zustandes der Tiere könne jedoch anhand des vorliegenden Videobildmaterials keine Aussage getroffen werden«. Daher könne man auch nicht sagen, ob der Tierhalter sie gemäß § 17 TierSchG aus »Rohheit« oder über einen längeren Zeitraum bzw. wiederkehrend leiden ließ.

Dass die Aufnahmen erst einmal wenig über die Ursache und die Dauer des Zustands sagen, ist logisch. Natürlich ist das Material nur eine Momentaufnahme und ersetzt auch keine veterinärmedizinische Untersuchung. Allerdings muss hier aus unserer Sicht die Frage gestellt werden, warum die Tierschützer:innen die kranken und sterbenden Hühner gefunden haben, der Tierhalter jedoch nicht. Die sterbenden Hühner in den Aufnahmen hätte er beim letzten Kontrollgang sehr wahrscheinlich bereits als geschwächt erkennen können. Immerhin gibt es die rechtliche Vorgabe, dass alle Masthühner im Betrieb mindestens zwei Mal täglich in Augenschein genommen werden müssen (§ 19 Abs. 2 TierSchNutztV).

Offenbar fehlte es in diesem Betrieb also an Sorgfalt oder Sachkunde, um kranke Tiere rechtzeitig zu erkennen und sie veterinärmedizinisch zu versorgen oder aber zumindest fachgerecht notzutöten. Dadurch entstanden den Tieren vermeidbare Leiden und Schmerzen.

Dass in dem Videomaterial verweste Hühner in der Einstreu zu sehen sind, zeugt davon, dass schon früher Tiere unbemerkt verstorben sind. Es ist davon auszugehen, dass zumindest einige zuvor über einen längeren Zeitraum gelitten haben. Dass sie nicht weggeräumt wurden, lässt ebenfalls auf mangelnde Sorgfalt schließen und stellt eine Gesundheitsgefahr für die anderen Tiere dar.

Immerhin: Verdacht auf Ordnungswidrigkeiten

Die Staatsanwaltschaft hat das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt, weil sie der Auffassung ist, dem Tierhalter ein strafbares Verhalten nicht sicher nachweisen zu können. Im Raum stehen jedoch weiterhin Verstöße, die per Gesetz als Ordnungswidrigkeiten einzustufen sind:

  1. Die stark verwesten Tiere wurden nicht aus dem Stall entfernt.
  2. Bei den 9 gefilmten Notötungen im Stall seien in 5 Sequenzen die Tötungen ohne die zwingend erforderliche Betäubung erfolgt und die Tötung sei auch nicht fachgerecht gewesen. Stattdessen wurden die Hühner geschüttelt, wodurch ihnen erhebliche Schmerzen zugefügt worden sein könnten. In vier weiteren Fällen könnte es sein, dass die Tiere nicht fachgerecht betäubt worden sind.

Für diese Vorwürfe ist nun das Veterinäramt zuständig. Es bleibt abzuwarten, was es hierzu sagt. Allerdings muss an dieser Stelle dazugesagt werden, dass die Veterinärämter oft Teil des Problems sind. Ihre Aufgabe ist es, die tierschutzkonforme Haltung der Tiere zu überprüfen. Das klappt allerdings oft nicht. Gründe hierfür sind nach unserer Erfahrung Personalmangel, teils Unwissenheit, aber auch wirtschaftliche Interessen oder Abhängigkeiten sowie mangelnder Rückhalt für diejenigen in den Ämtern, die ihre Aufgaben ernst nehmen.

Fazit: Routinemäßige Tierquälerei in der Massentierhaltung vor Gericht zu bringen bleibt vorerst schwierig

Wir wissen, dass Zustände, wie sie bei dem niedersächsischen Lidl-Lieferanten dokumentiert wurden, in der Massentierhaltung eher die Regel als die Ausnahme sind. Dafür sprechen nicht nur die Aufnahmen aus den Ställen weiterer Lidl-Lieferanten, die wir ebenfalls veröffentlicht haben. Aus unserer Sicht und der vieler Tierrechtsexpert:innen verstößt Massentierhaltung per se gegen das Tierschutzgesetz. Sie missachtet grundsätzlich die Bedürfnisse der Tiere und fügt ihnen routinemäßig vermeidbare Leiden und Schmerzen zu.

Aufgrund dessen, dass Massentierhaltung jedoch seit Jahrzehnten etabliert und toleriert ist, sie sich wirtschaftlich lohnt und der Konsum von Tierprodukten noch zu wenig in Frage gestellt wird, werden Tierschutzverstöße in der Massentierhaltung fast nie verfolgt.* Oft kommt es erst in einzelnen Fällen von herausragender Grausamkeit zu Verurteilungen. Wir haben daher in diesem Fall, der schreckliche Zustände behandelt, die jedoch zugleich weit verbreitet sind, bereits befürchtet, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird. Trotzdem war die Strafanzeige richtig und wichtig.

Wir werden natürlich trotzdem weiter Tierquälerei in der Massentierhaltung öffentlich machen, auch wenn sie Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht immer als solche anerkennt. Unternehmen wie Lidl versuchen wir zu überzeugen, höhere Tierschutzstandards bei den Lieferanten durchzusetzen, um den allgemeinen Maßstab für das notwendige Minimum an Tierschutz anzuheben. Außerdem führen und unterstützen wir immer wieder Tierschutzklagen, die Hebelwirkung entfalten und eben doch die Systemfrage stellen können.

* Weiterführende Literatur zu diesem Thema:

Der Artikel Keine Strafe für Tierleid bei Lidl-Lieferanten wurde von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt veröffentlicht.

http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell