Masthühner
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Gemeinsam mit vielen weiteren Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen in ganz Europa haben wir eine Informationskampagne ins Leben gerufen, um auf die Missstände in der konventionellen Hühnermast hinzuweisen, die Lidl unterstützt. Dabei haben wir auf www.lidl-fleischskandal.de Bilder veröffentlicht, die bei einem Lieferanten von Lidl entstanden sind.

Lidl hat inzwischen ausführlich Stellung genommen. Im Folgenden gehen wir auf die wichtigsten Argumente von Lidl ein.

»Lidl spricht sich in aller Deutlichkeit gegen Tierquälerei aus.«

Aussprechen reicht nicht. Handeln ist gefragt. Bereits 560 Unternehmen haben sich dazu verpflichtet, ihre Tierschutzstandards mindestens auf das Niveau der Europäischen Masthuhn-Initiative anzuheben. Lidl gehört nicht dazu. Außer für seine Filialen in Frankreich und den Niederlanden, da geht es offenbar doch.

»Wir nehmen jegliche Vorwürfe sehr ernst. Um diesen nachzugehen, stehen wir mit dem Lieferanten, der neben uns auch viele weitere Marktteilnehmer in Deutschland beliefert, in Kontakt. Wir haben umgehend um eine Stellungnahme gebeten und eine unabhängige Prüfung durch externe Sachverständige veranlasst.«

Hier möchte Lidl den Eindruck erwecken, dass es sich bei den Aufnahmen um einen Einzelfall handelt. Leider ist das aber nicht so und in Wirklichkeit geht es um die Systemfrage: Wollen wir an Qualzucht und Qualhaltung festhalten oder wollen wir wenigstens grundlegende Mindeststandards einführen? Bislang tut Lidl fast nichts gegen Qualzucht und wenig gegen Qualhaltung. Ab 2026 will Lidl bei Frischware 30 % »Premiumfleisch« aus den Haltungsform-Stufen 3 und 4 verkaufen. Im Umkehrschluss heißt das, dass 70 % des Frischfleischs weiterhin aus tierquälerischer Massentierhaltung kommen sollen.

Es ist richtig, dass der Lieferant, zu dem der gezeigte Stall gehört, auch andere Marktteilnehmer beliefert. Doch von denen haben im Gegensatz zu Lidl schon mehrere beschlossen, ihre Standards über die nächsten Jahre mindestens auf das Niveau der Masthuhn-Initiative anzuheben. Um das wirklich flächendeckend Realität werden zu lassen, benötigen diese Vorreiter aber noch Verstärkung. Aus dem Lebensmitteleinzelhandel haben sich Aldi, Globus, Tegut, Bünting und Norma bereits den Kriterien der Masthuhn-Initiative verpflichtet und damit gezeigt, wie ernst es ihnen mit dem Tierschutz ist. Rewe möchte diesen Weg ebenfalls gehen – aber nur, wenn sich noch andere Händler anschließen. Wenn aber alle jetzt sagen: »Wir machen mit, wenn die anderen auch mitmachen«, braucht es eben einen, der Führung und Verantwortung übernimmt. Die Chance, hier gemeinsam mit Aldi und anderen Unternehmen das System zu verändern, steht Lidl gerade offen.

»Lidl setzt sich seit Jahren für die Weiterentwicklung von Tierwohlstandards ein und wird dies auch weiterhin tun. Nachdem Lidl in Deutschland im Jahr 2018 den Haltungskompass etabliert und damit die Grundlage für die einfache Kennzeichnung von Haltungssystemen bei tierischen Erzeugnissen gelegt hatte, können Kunden transparent erkennen, aus welcher Haltung ein tierisches Produkt stammt.«

Diese Kennzeichnung ist aus unserer Sicht Verbrauchertäuschung. Den Kund:innen wird über Begriffe wie »Stallhaltung Plus« und über ein Häkchen hinter dem Wort »Tierwohl« suggeriert, dass das Tierschutzthema über die »Initiative Tierwohl« (= Haltungsform 2) abgehakt sei. In Wirklichkeit erhalten die Tiere nur 10 % mehr Platz und alle 150 m² einen Beschäftigungsgegenstand. Das entscheidende Thema Qualzucht spielt dabei in der Praxis keine Rolle.

»Unser gesamtes Frischgeflügelsortiment ist mindestens auf Haltungsform 2 umgestellt und entspricht damit mindestens den Kriterien der Initiative Tierwohl.«

Siehe oben.

»Langfristig werden wir unser Frischgeflügel vollständig auf die Haltungsstufen 3 und 4 umstellen.«

»Langfristig« ist sehr vage. Gibt es denn einen konkreten Zeitplan dafür? Darüber hinaus muss es nicht nur um Frischgeflügel, sondern auch um Tiefkühl- und verarbeitete Produkte gehen. Und die Haltungsstufen 3 und 4 beenden die Qualzucht nicht unbedingt. Denn das Thema regelt das Haltungsform-System leider nicht klar.

»Wir verfolgen die Diskussion um das European Chicken Commitment daher intensiv und unterstützen das Ziel der Initiative, das Tierwohl in der Geflügelhaltung zu verbessern.«

Wichtiger als die Diskussion zu verfolgen, wäre es, zu handeln: also die Kriterien der Initiative umzusetzen und so den Tierschutz in der Hühnermast tatsächlich zu stärken.

»In Gesprächen mit Vertretern des European Chicken Commitment wurde deutlich, dass sich die global einheitlichen Kriterien der Initiative oft nicht ausreichend mit den unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen in Deutschland vereinbaren lassen. Die Weiterentwicklung des Tierwohls muss im nationalen Kontext erfolgen und nationale Gegebenheiten, wie zum Beispiel baurechtliche Vorgaben und daraus resultierende Zeitachsen zum Um- und Neubau von Ställen oder gegebenenfalls staatliche Förderprogramme für Stallbauten sowie existierende Tierwohl-Initiativen und Kennzeichnungssysteme, berücksichtigen. Ein Beispiel solcher nationalen Besonderheiten ist die bestehende Klassifizierung und Kennzeichnung der Haltungsformen bei Lidl in Deutschland. Aufgrund dieser etablierten Kriterien und Mindestanforderungen würden die Erzeugnisse nach den Vorgaben des ECC weiterhin unter Haltungsform 2 vermarktet werden.«

Auf das Haltungsform-System sind wir bereits oben eingegangen. Wir sehen keinen Grund, warum in anderen Ländern die Qualzucht abgeschafft werden soll und in Deutschland nicht. Man könnte allerdings argumentieren, dass die Tierschutzstandards in Deutschland höher sein müssen als in Süd- und Osteuropa. Deshalb begrüßen wir auch jede Lösung, die über die Mindestkriterien der Europäischen Masthuhn-Initiative hinausgeht.

Was die Zeitachsen zum Umbau von Ställen angeht: Die Masthuhn-Initiative wurde absichtlich so gestaltet, dass keine Stallumbauten nötig sind. Zwar kann man in den bestehenden Ställen weniger Hühnerfleisch produzieren, wenn die Qualzucht abgeschafft und den Hühnern mehr Platz gegeben wird, aber neue Ställe braucht es nicht, wenn der Fleischkonsum parallel gesenkt wird. Letzteres ist sowohl ein Ziel der Bundesregierung als auch die Empfehlung vieler Expert:innen verschiedener Disziplinen.

»Wir sehen ausdrücklich auch die Notwendigkeit einer Transformation der Nutztierhaltung und werden daher weiter intensiv daran arbeiten, unser Sortiment in Zusammenarbeit mit unseren Partnern und Lieferanten entlang der gesamten Lieferkette und mit Blick auf die nationalen Kundenbedürfnisse tierwohlgerechter zu gestalten. So können wir realistische Maßnahmen und Mindestziele für uns und unsere Lieferanten definieren und diese Schritt für Schritt in unserem Sortiment umsetzen. Vor diesem Hintergrund prüfen wir mit unseren Partnern weitere Verbesserungsmöglichkeiten in der Nutztierhaltung.«

Das sind viele Worte dafür, dass Lidl sich vor allem auf die »Initiative Tierwohl« (Haltungsform 2) stützt. Doch in der ITW gibt es seit vielen Jahren keine nennenswerten Fortschritte im Tierschutz. Unser Kenntnisstand ist, dass die Haltungsform 2 bei Lidl bis 2026 noch 70 % des Frischfleisch-Sortiments ausmachen soll. Die in den Aufnahmen gezeigten Verhältnisse in der Hühnermast würden dann also unverändert bestehen bleiben.

»Für weitere Gespräche mit Vertretern des European Chicken Commitment stehen wir jedoch weiterhin zur Verfügung. Bedauerlicherweise wurden sie 2021 einseitig von Vertretern des European Chicken Commitment beendet. Wir werden aktiv den weiteren Austausch mit Vertretern des ECC suchen.«

Die letzten Gespräche wurden von den Tierschutzorganisationen abgebrochen, weil Lidl uns von Meeting zu Meeting weniger angeboten hat. Ob es jetzt zu einem Durchbruch für die Masthühner und insbesondere die Abschaffung der Qualzucht kommen wird, wird sich zeigen.

Der Artikel Unsere Antwort auf Lidls Ausreden wurde von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt veröffentlicht.

http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell