Rinder
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Der kalifornische ThinkTank RethinkX prognostiziert in seinem neuen Bericht »Rethinking Food and Agriculture 2020 – 2030« einen radikalen Wandel in der Lebensmittelwirtschaft. Betroffen ist davon vor allem die Milch- und Rindfleischindustrie, die dem Bericht zufolge bis 2030 zusammenbrechen wird.

Industrielle Tierhaltung in der »Todesspirale«

RethinkX stellt dar, wie verschiedene Produkte der Kuh (Milch, Fleisch, Leder sowie Kollagen zur Herstellung von Gelatine) künftig mit günstigeren und hochwertigeren Alternativen konkurrieren werden. Die Nachfrage nach Kuhprodukten dürfte dadurch bis 2030 um 70 % zurückgehen, was zu einer »Todesspirale« mit steigenden Preisen für die industrielle Tierhaltung führt.

Ausgelöst wird diese Wende durch mehrere parallele, sich gegenseitig überlappende und beschleunigende Entwicklungen. Als die wichtigsten Treiber benennt RethinkX zwei technologische Innovationen:

Bei der »precision fermentation« (etwa: »Präzisionsfermentation«) handelt es sich um einen neuartigen Entwicklungsprozess, bei dem Mikroorganismen so programmiert werden, dass sie fast jedes komplexe organische Molekül produzieren können. Mithilfe eines innovativen Produktionsmodells namens »Food as Software« wählen Hersteller anschließend genau die Moleküle aus, die sie für ihre Produkte brauchen. Eine Kuh wird bei dieser Herstellung von Milch, Fleisch und Co. nicht mehr benötigt.

Auswirkungen auf Ökonomie, Umwelt und Gesundheit

Diese Innovationen führen dazu, dass »moderne Lebensmittel« immer günstiger werden, während sich ihre Qualität stetig verbessert. RethinkX geht davon aus, dass sie bis zum Jahr 2030 weniger als halb so viel kosten werden wie die tierlichen Produkte, die sie ersetzen. Eine durchschnittliche US-amerikanische Familie wird dem Bericht zufolge durch diese Entwicklungen mindestens 1.200 Dollar Lebensmittelkosten pro Jahr einsparen.

Doch nicht nur der Kostenfaktor spricht für die modernen Lebensmittel: »Die industrielle Viehzucht ist weltweit eines der ältesten, größten und ineffizientesten Systeme der Nahrungsmittelproduktion«, sagt Catherine Tubb, Mitautorin des RethinkX-Berichts. »Moderne Inhaltsstoffe und Lebensmittel sind auf breiter Front etwa zehnmal effizienter – von der Land- und Wassernutzung über den Rohstoffverbrauch bis hin zur Energienutzung.«

Folglich sind diese modernen Lebensmittel auch eine Antwort auf den Klimawandel. Laut RethinkX könnten 60 % der Landflächen, die heute in den USA noch der Haltung und Ernährung von Nutztieren dienen, dank der beschriebenen Entwicklungen ab 2035 anderweitig genutzt werden. Würde man diese freigewordenen Fläche entsprechend umwidmen, könnten sämtliche derzeitigen Treibhausgasemissionen der USA bis 2035 vollständig ausgeglichen werden.

Auf die Gesundheit der Bevölkerung wirken sich die modernen Lebensmittel mit ihren optimierten Nährstoffprofilen ebenfalls positiv aus: So können ernährungsbedingte Krankheiten wie Übergewicht, Herzkrankheiten, Krebs und Diabetes reduziert werden.

Die Entwicklungen sind bereits in Gang

Die beschriebenen Innovationen sind keine utopische Zukunftsmusik. Sie hängen zudem nicht davon ab, ob sich das Kaufverhalten der VerbraucherInnen ändert. »Es handelt sich um einen Vorgang, der zwischen Unternehmen abläuft, und nicht um einen simplen 1:1-Ersatz von Endprodukten«, sagt Tony Seba, Mitgründer von RethinkX. »Proteine werden durch exakte Fermentation schon jetzt kommerziell hergestellt. Die Kosten fallen exponentiell, während die Qualität und die Vielfalt ebenso schnell steigen. Die industrielle Viehzucht wird zusammenbrechen, lange bevor moderne Technologien das ‘perfekte’ Steak aus Zellkultur zu einem wettbewerbsfähigen Preis herstellen.«

Eine unaufhaltbare Entwicklung

RethinkX beschreibt den Niedergang der Rinderindustrie als »unausweichlich« und geht davon aus, dass alle anderen Tierindustrien dasselbe Schicksal erfahren werden. Wie sich diese Entwicklungen auswirken, hänge aber letztlich von der Politik, von InvestorInnen und Unternehmen ab. So ist ein offener, transparenter Markt, der Wettbewerb fördert, laut der Denkfabrik eine Voraussetzung dafür, dass die enormen ökonomischen, sozialen und ökologischen Vorteile dieser Entwicklungen realisiert werden können.

Über RethinkX

RethinkX ist eine unabhängige Denkfabrik, die den Umfang, die Geschwindigkeit und das Ausmaß technologiegetriebener Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft analysiert und prognostiziert. Ihr Gründer Tony Seba hat bereits zuvor große branchenspezifische Turbulenzen und Krisen vorausgesagt, etwa in der Kohle- und Erdgasindustrie sowie im Bereich der Elektromobilität. Im Gegensatz zu Mainstream-Analysen verfolgt RethinkX keinen linearen Ansatz, sondern berücksichtigt die komplexen Wechselwirkungen verschiedener Entwicklungen. Dazu gehört das Zusammenspiel von VerbraucherInnn, Unternehmen, InvestorInnen und der Politik.

Der Artikel Fleisch und Milch als Auslaufmodell wurde von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt veröffentlicht.

http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell