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Das Interesse der Schülerinnen und Schüler an Tierschutz und Tierrechten ist groß: Über 60 haben sich für unser Projekt »Ein bisschen vegan – for freaks only« an der Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule in Berlin-Adlershof angemeldet. Gemeinsam mit dem VEBU beteiligt sich unser Straßenkampagnen-Team an den Projekttagen vom 10. bis 13. Juli 2017, die unter dem Motto stehen: »Über den Tellerrand schauen«.

Auf dem Programm unseres Projekts stehen Kurzfilme, Kochworkshops, Supermarkt-Recherchen und Diskussionen. Besonderes Highlight sind die Virtual-Reality-Brillen und 360°-Filme des preisgekrönten Video-Projekts iAnimal von Animal Equality. Sie ermöglichen, aus dem Blickwinkel von Tieren das Leben und Sterben in der Massentierhaltung mit anzusehen.

Der erste Projekttag startet in der Früh mit einer Herausforderung für uns: Als Anschauungsmaterial haben wir einen echten Kastenstand mitgebracht. Für eine Sau ist der zwar klein – für uns ist er jedoch zu groß und schwer, um ihn in den zweiten Stock der Schule zu befördern; selbst zerlegt passt er nicht in den Aufzug. Hilfe naht in Gestalt vier muskulöser Schüler der Oberstufe. Sie heben die Metallteile ohne jede Mühe hoch und tragen sie mit einem Grinsen nach oben – ohne abzusetzen.

Vegan ist »voll spannend«

Unsere Kollegin Janika eröffnet mit ihrer Präsentation über Tierethik, Gesundheit und Umwelt: Sie hat selber früher gern Fleisch gegessen sowie Pelz und Leder getragen, berichtet sie; zugleich war sie schon immer tierlieb. Das sind die SchülerInnen offenbar auch. Als Janika eine Folie mit kleinen Ferkeln zeigt, geht ein »Sind die süüüüß!« durch die Reihen. Ein Video über Mitgefühl für Tiere berührt sind die TeilnehmerInnen besonders.

Anschließend ist Zeit zum Reden. Sie fände vegan »voll spannend«, sagt ein Mädchen; nur sei ihre Familie total dagegen! Das kennen wir auch. Es braucht einiges an Willensstärke, sich im eigenen Umfeld durchzusetzen. »Wir liefern euch in den nächsten Tagen viele gute Argumente, über die ihr zuhause diskutieren könnt«, ermutigen wir die SchülerInnen. »Vielleicht unterstützt euch dann die eine oder der andere aus der Familie, wenn deutlich wird, wie wichtig euch das Thema ist.« Jemand fragt uns nach einer guten Seite im Netz, um sich umfassend zu veganer Ernährung zu informieren – für uns eine Steilvorlage: Natürlich die Vegan Taste Week!

Nur mit Erlaubnis

Für einen Teil der Gruppe geht es nun ab in die Schulküche zum veganen Kochen und Backen: Auf dem Programm stehen Nudeln mit »Bolognese-Soße« sowie Cupcakes. Für andere gibt es Kurzfilme mit Diskussion, eine dritte Gruppe schaut im Supermarkt, welche veganen Produkte sie dort findet. Die übrigen dürfen jetzt an die Virtual-Reality-Brillen – sofern es die Eltern erlaubt haben. Die Stimmung ist aufgeregt und gespannt. Die 360°-Technologie erzeugt das Gefühl, sich selbst in einem Betrieb der Tierindustrie zu befinden. Die SchülerInnen können sich in alle Richtungen umsehen und steuern so die Kameraperspektive. Über Kopfhörer hören sie die Originalgeräusche, das verstärkt den Eindruck, mitten unter den Tieren zu sein. Keiner muss jedoch die Filme anschauen. Und die SchülerInnen dürfen die Brillen natürlich jederzeit ablegen.

Ein Mädchen hat keine Erlaubnis dabei, die Filme anzusehen. Am Telefon erklären wir dem Vater, worum es in den Filmen geht und dass auch traurige und schockierende Bilder zu sehen sind. »Meine Tochter darf das selber entscheiden«, sagt der Vater. »Ich finde es sehr wichtig, dass dieses Thema in der Schule behandelt wird.«

Berührende Szenen

Die ersten zwei Mädchen wollen einen Film gleichzeitig ansehen. Für die anderen bietet sich ein interessanter Anblick: Ihre Köpfe bewegen sich oft zeitgleich in die Richtungen, wo gerade etwas passiert. Sie fassen sich an den Händen; manchmal nehmen sie erschrocken die Hand vor den Mund. Eine Schülerin muss nach dem Film erstmal vor die Tür. Auch wenn sie schon viele derartige Videos kennt, erzählt sie später, ist das Erlebnis mit der VR-Brille viel intensiver. Ein anderes Mädchen weint schon während des Films, trotzdem will sie ihn zu Ende sehen. Manche wollen sogar zwei Filme hintereinander anschauen; ein anderer Schüler möchte keinen der Filme sehen. Auch das ist in Ordnung. Später kommt er nochmal auf uns zu: »Ich würde doch gerne gucken!«

»Meinen Großeltern brauche ich das gar nicht zu erzählen. Die verstehen das Null«, sagt ein Junge. Bei den meisten SchülerInnen jedenfalls erzeugt der Perspektivwechsel offenbar viel Mitgefühl und Solidarität.

Zwischen Lebenshof und Massentierhaltung

Am Tag des Hoffests fahren wir mit unserem GrunzMobil auf den Schulhof; dort herrscht bereits wildes Treiben. Auf dem Schulhof sind Graffitis entstanden, darunter ein kleines Küken mit dem Spruch »I am not a nugget«. Eine Bühne samt aufwendiger Tontechnik und viele Stände sind aufgebaut. An denen werden die SchülerInnen ihre Projekte vorstellen. Weil viele jüngere Kinder da sind, zeigen wir an unserem GrunzMobil heute keine Szenen aus der Massentierhaltung, sondern wunderschöne Aufnahmen vom Lebenshof Santuario Igualdad Interespecie. Doch selbst viele kleine Kinder verstehen bereits, warum wir da sind. Ein Grundschüler sagt: »Es ist das Gemeinste, dass so viele Tiere geschlachtet werden!«

An unserem iAnimal-Pavillon ist reger Andrang. Viele SchülerInnen nutzen die Chance, sich die Filme anzusehen. Sichtlich betroffen nimmt ein Junge die Brille ab: »Mir war nicht bewusst, dass das so schlimm ist. Jetzt verstehe ich die Motivation, vegan zu leben.« Auch einige Eltern und LehrerInnen sehen sich die Filme mit den VR-Brillen an. Sie berichten, dass die SchülerInnen von unserem Projekt viel erzählt haben.

Viel Grund zur Freude

Besonders freuen wir uns darüber, dass mehrere SchülerInnen den Entschluss gefasst haben, sich fortan vegan oder vegetarisch zu ernähren. Spätestens dann, wenn sie von zuhause ausgezogen sind. Auch erfreulich: Unsere Berliner Aktionsgruppe hat in den Projekttagen an der Schule Zuwachs bekommen.

Eine Schülerin kommt aufgebracht zu uns. Ein Foodtruck mit Burgern hat sich direkt neben unser GrunzMobil gestellt. »Das ist ja wohl wirklich unpassend, dass die ausgerechnet neben euch stehen müssen«, schimpft sie. Wir verstehen erst nicht, erklären dann aber: »Doch! Das sind nämlich vegane Burger.« Die kommen offenbar bei vielen gut an. Die 100 Burger sind schon am frühen Nachmittag ausverkauft; auch die 100 veganen Currywürste sind schnell vergeben. Die Schulleiterin hat Glück. Sie bekommt die letzte. Bei ihr bedanken wir uns noch einmal persönlich, dass wir an ihrer Schule eingeladen wurden und mit den SchülerInnen gemeinsam diskutieren durften. »Na für uns war das doch auch toll«, sagt sie. »Kommen Sie gerne wieder!« Mit ihrer Erlaubnis dürfen wir heute eine Drohne steigen lassen, um Aufnahmen zu machen – aus der Vogelperspektive.

Der Artikel Mit den Augen von Schwein, Huhn und Kuh wurde von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt veröffentlicht.

http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell